Klaus Burger ist nicht nur einer der führenden Tubisten Europas der letzten 35 Jahre. Der freischaffende Musiker aus Baden-Baden und der weltweit renommierte, mehrfach ausgezeichnete Komponist für Film-, Theater-, Hörspiel- und zeitgenössische Musik ist ein Mensch, für den das Leben selbst die schönsten Melodien schreibt. Dabei gibt sein Herz stets den Ton an: Mal laut, mal leise, mal a cappella, mal instrumental.
Als der Krieg im Osten der ehemaligen Ukraine vor über 2 Jahren entflammte, wusste Herr Burger die Abstinenz eines Fernseh-Apparates in seinem spirituellen Haushalt erneut sehr zu schätzen. Zutiefst betroffen von den Ereignissen im Kriegsgebiet, welches sich nur 2.000 Kilometer vor seiner deutschen Haustür befand, und insbesondere vom Schweigen unserer westlichen Medien- und Politiklämmer entschied sich der Top10-Tubist, auch hier und jetzt seinem großen Musiker-Herzen zu folgen. Und zwar direkt nach Donbass und am liebsten in eine der einst kultur- und szenereichsten Millionenmetropolen Europas — nach Donezk. Mit dem Ziel: Durch Musik statt leeren Worten und Versprechungen für Frieden zu sorgen, wenigstens in den Herzen der unschuldigen Donbass-Bewohnern.
Doch obwohl für Klaus Burger kein Weg ans Ziel jemals zu weit schien, lag im Falle seiner Donbass-Wunschreise ein Riesenstein vor seinen Füßen, der ihn monatelang nicht weitergehen ließ. Denn ihm fehlte jeglicher Kontakt dahin. Und so setze sich Herr Burger eines Tages im April 2016 erneut an seinen Rechner und schrieb zum x-ten Mal eine kurze Mail an einen weiteren potentiellen Ansprechpartner für Donbass:
«Hallo, Remembers, vielleicht könnt ihr mir weiterhelfen: Ich suche Kontakt in die Kulturszene von Donbass. Ich habe ein Jahresvisum für Russland und ich möchte Kultur machen im Donbass, klassische Musik z.B. Ich bin ein schlechter Organisator, jedoch habe ich einen guten Namen in der Kulturszene. Danke im Voraus und guten Gruß. kb»
Und so öffnete sich dem deutschen Weltrang-Musiker nach 18 Monaten erfolgloser Kontaktsuche endlich die Tür zu seinem Herzenswunsch. Ende Mai diesen Jahres verbrachte der Baden-Badener insgesamt eine Woche in Donbass. Seine täglichen Erlebnisse hielt er im Rahmen einer Mail-Korrespondenz mit uns akribisch fest, die wir heute, exklusiv für euch, liebe REMEMBERS, in Form eines REMEMBERS Reisetagebuches veröffentlichen: «7 TAGE DONBASS» von Klaus Burger.
Der Bericht beginnt recht melancholisch, etwas nostalgisch, ja fast atmosphärisch, durchreißt im nächste Schritt einige Mauern der Informationsblockade zum Thema «Separatisten», «Terroristen» sowie «Pro-russen» und sorgt anschließend, dank der großen Beobachtungsgabe und ausgeprägten Empathiefähigkeit des Autors, für ein sonderbares Gefühl: So, als wäre man der Realität in Donbass und der Wahrheit im so zynisch genannten «Ukraine-Konflikt» selbst hautnah einen Schritt näher gekommen.
«Ich bin sehr berührt von der Freundlichkeit und Offenheit der Menschen»
Tag 1: 20.05.2016
Liebe REMEMBERS, das hat alles ganz vortrefflich geklappt und ich werde gut aufgenommen. Wir planen an schönen Dingen und ich bin sehr berührt von der Freundlichkeit und Offenheit der Menschen.
Es ist sehr fruchtbar, das beginnt sehr innig und die Menschen sind begeistert. Anbei ein kurzes Interview von gestern. Ich bin froh, dass Sie mich vermittelt haben und die Menschen hier auch.
Danke und Gruß
V.L.N.R.: VLADISLAV BRIG (PARLAMENTSABGEORDNETER DER DVR & REMEMBERS PARTNER), NATALIJA (DOLMETSCHERIN) UND KLAUS BURGER
«Der Tod ist hier sehr gegenwärtig… Das Leben jedoch auch»
Tag 2: 21.05.2016
Gestern war ich im Kriegsmuseum in Donezk. Neben den Exponaten aus dem 2. Weltkrieg sind neue Abteilungen mit den Resten der Geschosse von letztem Jahr eingerichtet…. Eine meiner hübschen und sehr freundlichen, intelligenten Begleitmädels hat dann im Museum zu weinen begonnen, mir erzählt von den verstümmelten Kindern, mit denen sie arbeitet, den Schmerzen, in den Seelen, Köpfen, Herzen. Das ist hier sehr gegenwärtig, der Tod… das Leben jedoch auch.
DONEZK, KRIEGSMUSEUM
Untergebracht bin ich in einem neuen, aber bereits wieder herunterkommenden Hotel, welches nun ein Soldatenquartier ist und ich der einzige Nicht-Soldat bin. «Legion» nennen die sich: Alle Altersgruppen, Jung überwiegt. Auch Frauen sind dabei… Man lud mich abends in eines dieser Quartiere ein, zehn Mann in einem Zimmer, und ich habe Musik gemacht. Ein dicklicher Mittvierziger, hochintelligent wirkender Mann liegt auf seinem Bett. Die anderen erklären mir, der sei traumatisiert. Er war vorher Gouverneur, irgendwie in der Administration gewesen. Die Ukros hätten ihn wohl lange gefoltert.
Ein frecher, vorlauter junger Tschetschene hat mich wegen meiner rosa Schlabberhose zuerst blöd anmachen wollen, bringt mir aber nun Tee. Man kümmert sich sehr um meine Wohlfahrt.
So viel Lebensbejahung wie hier, mitten in dieser Situation, kenne ich aus Deutschland nicht. Und es ist nicht einfach, nicht zu weinen vor Ergriffenheit, das darf ich mal so sagen.
Am Freitagnachmittag war ich in der Musikschule und hatte meinen ersten Kennenlern-Termin. Die Direktorin stand bereits wartend auf der Straße. Nach einer höflichen kurzen Begrüßung führte man meine charmante Natalija und mich in einen kleinen Konzertsaal, der mit etwa sechzig bis siebzig Menschen gut gefüllt war. Dass nun, als wir saßen, die Direktorin anhub, mich auf Deutsch zu begrüßen (wobei ich sicher bin, dass sie das auswendig gelernt hat), war die erste Sensation. Die nächste folgte für mich, als ich begriff, dass der ganze Aufwand hier einzig für mich betrieben wurde. Eine Blaskapelle junger und ganz junger Menschen marschierte auf, etwa 25 Menschen, um mir ihr Wettbewerbsprogramm zu präsentieren. Außerordentlich und bemerkenswert war, dass die Kinder auswendig und sehr diszipliniert und sauber gespielt haben. Das spricht für die Qualität des Leiters. Danach spielten fünf Lehrkräfte freundlich-virtuosen New-Orleans-Jazz. Auch hier hat mich die Qualität der Darbietung verwundert. Ich bin nicht zum ersten Male in russischsprachlichen Gefilden, deshalb war das recht überraschend für mich. Mein anschließendes Didgeridoo-Spiel hat den Anwesenden gut gefallen. Der Applaus war groß.
Ich habe in meinem Leben, wenn ich das addiere, mindestens drei Jahre in Italien verbracht, weil ich am «teatro la fenice» und in Torino im Radiosinfonieorchester spielte. In dieser Zeit habe ich mich natürlich an das unglaublich gute Essen dort gewöhnt und meine privaten Kochambitionen sind auf hohem Niveau. Nun sitze ich in Donezk und esse mit den Soldaten deren Essen aus dem Blechnapf. Doch kann ich mich keinesfalls beschweren. Dafür, dass hier Kriegszustand ist, empfinde ich das geradezu als Luxus, dass ich überhaupt etwas bekomme und es ist simpel, das Essen, jedoch keinesfalls schlecht. Tauche ich auf, um mich hinten an der Warteschlange anzustellen, schieben die freundlichen Soldaten mich fast gewaltsam nach vorne, damit ich nicht zu warten brauche. Meine Versuche, mich klein zu machen, werden rigoros unterbunden. Der Koch stellt mir als Einzigem ein Kännchen Tee hin, der freche lustige Tschetschene fragt dabei Vokabeln ab. Es ist so viel Lachen und Freude bei diesen Menschen.
Dann sitze ich da, schaue mir die an und denke mir, wer wohl nächstes Jahr noch leben wird. Dann wird mir kurz das Herz schwer, gleichzeitig weiß ich, dass sie alle auch lieber Frieden hätten und dennoch genau wissen, wofür sie das auf sich nehmen. Diese Menschen mag man töten können, jedoch nicht unterjochen. Das ist ganz klar und hart. An dieser Haltung werden sich noch Einige die Zähne ausbeißen können, hoffentlich jedoch wird Frieden einkehren. Die Disziplin der Soldaten ist sehr groß, nichts ist grob, roh oder besonders laut. Vermutlich würde im deutschen Fernsehen von einem zusammengewürfelten Haufen gesprochen werden: «Banditen», «Terroristen», «Söldner». Doch es gibt nichts zu Trinken. Da fallen mir die Bundeswehrgeschichten vom Koma-Saufen ein… Wie sinnentleert, wo soll da auch Motivation herkommen?
«Eine dermaßen auffällige Höflichkeit würde ich mir oft in meinem Leben gewünscht haben «
Tag 3: 22.05.2016
Heute gab’s vor dem Theater, wo ich eine Ballett-Vorstellung anschauen war, am frühen Nachmittag, Sonnenschein vom allerfeinsten. Nun, das Ballett hat gut getanzt, dennoch ging mir die synthetisch produzierte und absolut viel zu laute Musik nach einer halben Stunde so auf den Geist, dass ich um Fluchterlaubnis bat, welche mir dann auch gewährt wurde. Ich glaube, die Natalija war auch froh darüber. Dafür war dann im Sonnenschein ein gewisser Tumult, denn der stärkste Mann der Welt brach dort gerade einen Weltrekord im Gewichtheben über eine bestimmte Distanz zu schleppen. Süße Last: 22 quiekende Mädchen um die acht Jahre steckten in sechs großen Blechfässern und mittels gewaltigem Joch stapfte der Herr seinem Sieg entgegen. (Bilder kommen separat, weil, wenn ich zu spät zum Essen komme, gibt es keinen Salat mehr……)
Am freien Nachmittag habe ich Akazienblüten gesammelt, reichlich. Seit einigen Monaten habe ich ein angemeldetes Gewerbe nämlich: «Lyubov-Liebe» — das ist der Name meiner Blütensirupe. Ich mache Sirup aus Kirschblüten etc… Also jetzt ist Akaziensaison. Der Soldatenkoch gab mir die Gläser, den Zucker… und nun wird der Sirup in der Sonne auf dem Militärlaster seine Energie bekommen.
Ziemlich lustig war die Situation, als ich den Soldaten in ihrem Zimmer versucht habe, zu erklären, warum ich kein Fleisch esse und dennoch glaube, keinesfalls irgendwie schwächlich geworden zu sein. Und das alles ohne Dolmetscher und die reden dann durcheinander und nicht, wie von mir erbeten, ochen’ medlenno, also sehr langsam. Es gelang mir, glaubhaft zu machen, dass die stärksten Tiere eben der Elefant, Nashorn, Nilpferd und Büffel sind, dass diese Gras essen würden und, in Fahrt gekommen, habe ich ihnen eine komplett neue Sichtweise auf einen Aspekt gelenkt. Nämlich, dass der Löwe eigentlich eine «arme Sau» sei. Er müsse seinem Essen hinterher rennen, um nicht zu verhungern, während die Kuh im Essen steht. Das gab eine Art von Aufschrei vor Begeisterung und Entsetzen gleichermaßen, denn so hat das noch keiner betrachtet. Das war sehr lustig, so ein Gelächter….
Und da ich so viel Zeit hier in dieser Unterkunft habe, kann ich auch viel konstatieren, was mir dort so auffällt: Diese Menschen sind nicht laut, nicht rüpelig, bisher hat keiner in irgendeinem Gespräch, welche sie so führen, einen anderen beim Sprechen unterbrochen oder übertönt oder herumgeschrien. Eine dermaßen auffällige Höflichkeit würde ich mir oft in meinem Leben gewünscht haben, besonders in Deutschland und Italien. Keinerlei aggressive Töne, man lebt sehr eng zusammen. Nach dem Essen bedanken sich alle beim Koch, wenn sie den Speiseraum verlassen. Fast alle geben mir immer die Hand, wenn wir uns begegnen. Es sind auch welche dabei, die Schlimmes erlebt haben müssen. Ein ganz Junger, noch spätpubertierend, kaum 18, blickt immer auf den Boden…
«Die Menschen, die ich treffe, sind sich ihrer Sache, nämlich eine neue Republik aufzubauen»
Tag 4: 23.05.2016
Ich war also heute in der Philharmonie und habe versucht, vorzutragen, was wir machen könnten. Die entscheidende Stelle dafür ist der Dirigent des Orchesters. Und den werde ich morgen nach der Probe treffen. Ich hoffe, dass er sich die Zeit nimmt, um die Partituren anzusehen und mir zuzuhören. Wir werden sehen…
Als ich mit meiner wunderbaren Natalija dann rauskam aus der Philharmonie, entdeckte ich ein winziges uraltes Mütterchen, mit einer Tüte in der Hand, vor einem großen Müllcontainer stehend. Absichtsvoll verlangsamte ich den Gang, weil ich sehen wollte, warum sie sich so anstellt, ihren Müll da rein zu werfen. Doch es war genau anders: Diese gebeugte, fast durchsichtig wirkende Frau hat nichts zum Reinwerfen dabei gehabt, sondern, als ich Natalija fragte, ob die da jetzt tatsächlich nach Essbarem suchen würde, das bejaht wurde…. Ich ging auf die uralte Frau zu, sagte «Babuschka, hallelujah!» und drückte ihr, die sich erstaunt umdrehte, einen lächerlichen 50-Rubel-Schein in die Hand, hatte kein Geld mehr ansonsten. Ich blickte in wunderbare, blaue, erstaunte Augen, drehte mich sofort um, um kein Gespräch zu beginnen. «Gott segne dich und ich wünsche dir Gesundheit», rief das Mütterchen mir nach, Natalija übersetze es mir, obwohl das schon klar war. Ich ging weiter neben Natalija her, die leise weinend den Blickkontakt zu mir vermied und ich, leise weinend, wollte auch nicht, dass das nun ein Rührstück wird, weshalb wir unseren Weg stumm fortsetzten.
Die allgemeine Bedrückung und Trauer, die über der Stadt liegt, ich nicht zu ignorieren. Gleichwohl sind die Menschen, die ich treffe, sich ihrer Sache, nämlich eine neue Republik aufzubauen, sicher und hierin wirken sie unbeirrt. Mich erstaunt in diesem Zusammenhang, dass man «die Ukrainer» nicht pauschal verdammt.
Tag 5: 24.05.2016
Heute wurde ich nach etwa zwei-stündigem Warten am Straßenrand vor meiner Unterkunft dann doch noch abgeholt… Der Grund für diese Verzögerung lag darin, dass die Ukros in ein Dorf geschossen haben, Schaden anrichteten und Leute verletzten, weshalb mein Fahrer erst später kam. Da gibt es dann Prioritäten in der Agenda. Diejenigen, welche ich gefragt habe, ob die Donezker dann zurückschießen würden, sagten alle «Nein», das seien Provokationen, die genau dazu dienen sollen, dass man zurückschösse, und das will man nicht, der Wille zum Frieden sei zu groß, als dass man wegen solcher Aktionen die Gesamtlage verschlechtern würde…
Dann machten wir am Nachmittag einen Ausflug. Alles hier duftet von den Akazienblüten überall und die ersten Wildrosen mischen sich da hinein. Ein schöner Tag, Sonnenschein, blauer Himmel und wir fahren am Bahnhof vorbei aus der Stadt raus. Dann hat mich allerdings recht schnell ein großes Grauen am Hals gepackt, regelrecht gewürgt hat es mich: Einen Vorort, in dem vor dem Krieg 28.000 Menschen wohnten, eher Oberklasse, wenn man die Häuser und Gärten ansieht, verkehrsgünstig zwischen Bahnhof und Flugplatz gelegen, durchfahren wir…
Hier sind sehr viele Menschen gestorben, da stecken zum Teil noch die Raketenblindgänger in der Straße. Entsetzlich, diese Zerstörungen. Zwischen den Ruinen ab und zu ein vereinzelter Mensch, der Garten- oder Ackerfläche bearbeitet, siebartig durchlöcherte Gartenmauern und Zäune…..
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